Ein erfolgreiches Experiment: die Formatentwicklung „Künstlerfrühstück“

Ein Rückblick auf den Testlauf im Juli 2021 von Babette Martini und Eveline Kulik

Vor dem aktuellen Hintergrund von Covid 19 haben wir nur 6 Künstler*innen aus verschiedenen künstlerischen Disziplinen und verschiedenen Regionen eingeladen. Am 1. Juli 2021 kamen zum Stellwerk 62 auf dem alten Hoesch Gelände Teilnehmer*innen aus den Disziplinen Klangkunst, Fotografie, Skulptur, Malerei, Installation, Video und Raumplanung. Den Auftakt als Präsentierende hat die künstlerische Leiterin des Dortmunder Kunstvereins, Rebekka Seubert, gestaltet. Sie hat von ihren Erfahrungen in Frankfurt und Hamburg-Harburg, wo sie zuletzt als Leiterin des Kunstvereins gearbeitet hat, berichtet und Aspekte ihrer Arbeit auf das Ruhrgebiet übertragen.

Eine lebhafte Diskussion begann schon im ehemaligen Steuerungsraum des ehemaligen Stellwerks vor der eigentlichen Eröffnung der Runde. Von dort aus hat man den Blick zum Hafen und der Kokerei Hansa sowie den Gleisanlagen des ehemaligen Hoesch-Spundwand-Geländes. Die Begegnung mit der Geschichte des industriellen Raumes führte direkt zu den Kernfragen dieses Treffens:
• Was macht die Kunst im Ruhrgebiet aus?
• Wie beeinflusst das Ruhrgebiet die eigene Arbeit?
• Was können Konzepte sein, die sich von anderen Regionen unterscheiden?
• Welche Bedingungen schafft und hat Kunst?
• Welche Räume brauchen Kunst? Welche Kunst braucht Raum?

Dabei wurden in der weiteren Diskussion, die in einem offenen Sitzkreis stattfand, drei Themen als relevant für die kommende Schwerpunktsetzung des Künstlerfrühstücks erachtet. Sie kreisen alle um das Potenzial des Ruhrgebiets, das von den anwesenden Künstlerinnen als Ort der Vielfalt mit Nischen und Möglichkeitsräumen betrachtet wird.

Das Ruhrgebiet als Metropole mit 52 Städten und über 1000 Quartieren, die dort entstanden sind, wo unter Tage die Flöze wuchsen, ist ein Ort der Vielfalt mit diversen Nischen. Leerstehende, oft industriell vorgenutzte, industrielle Räume bieten sich als Räume der Möglichkeiten an. Die 52 Städte des Ruhrgebiets haben alle ein etwas anderes Profil, was sich auch in kulturell anders gelagerten Facetten ausdrückt, z. B. es gibt viele Kunstvereine mit vielen individuellen Schwerpunkten von enormer Qualität. Das Ruhrgebiets ist ein dicht besiedelter Ballungsraum mit einer Melange unterschiedlicher kultureller Herkünften.

Während des Künstlerfrühstück wurden drei Ziele inhaltlich deutlich, die die Kunst im Ruhrgebiet in ihrer Individualität und Stärke befördern könnten:

Ziel 1: Nutzung von Leerständen befördern
„Es stellt viel leer, aber man kommt an nichts ran.“

Durch den Strukturwandel stehen viele Gebäude leer, die zur Realisierung von künstlerischen Projekten oder Ateliers temporär oder langfristig genutzt werden können. Und somit diese Vielfalt noch zu stärken.

Eine Form der temporären Nutzungen von industriellen Leerständen könnte durch Duldungskonzepte und Zwischennutzungen von Gebäuden realisiert werden. Hierzu wurden sowohl städtische als auch private Initiativen aus der Schweiz und Hamburg genannt, an denen man sich im Ruhrgebiet orientieren könnte.

Kunst zu schaffen braucht Raum, um zu arbeiten, aber auch für die Lagerung und um die Kunst zu zeigen. Es müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, in den Eigentümer:innen ihre Räume öffnen und der Kunst zur Verfügung stellen.

Ziel 2: Netzwerke ausbauen und interdisziplinär gestalten
„Mit den Menschen im Ruhrgebiet kommt man leicht ins Gespräch.“

Die Menschen im Ruhrgebiet sind offen, neugierig und interessiert. Und ein Austausch mit ihnen ist schnell möglich. Das sind gute Voraussetzungen, um Netzwerke aufzubauen.

Netzwerke schaffen Zugang, Kontakte und sind wichtig für den Aufbau einer professionellen Karriere. Sie können interdisziplinär sein sowie ein Input von außen geben. Auch hier wurden Beispiele aus anderen Städten, wie Frankfurt genannt, in Form eines Salons, wo unterschiedliche Menschen und Professionen zusammen kamen.

Das Ruhrgebiet bietet eine gute Grundlage, um Netzwerke auf- und auszubauen. Diese sollten einen interdisziplinärer Austausch und Meetings sowie Zugang für neuzugezogene Künstler:innen zu verschiedenen Kreisen anderer Netzwerke und Branchen bieten.

Ziel 3: Stärkung der kulturellen und künstlerischen Identität im Ruhrgebiet
„Ruhrstadt: Stadt der Kunst und Möglichkeiten.“

Die künstlerische Identität des Ruhrgebiets baut auf der Fortsetzung des industriellen-kulturellen Erbes auf. Dabei wird der Mehrwert der Kunst für das Ruhrgebiet oft nicht erkannt. Das Ruhrgebiet wurde zur 2010 zur Kulturhauptstadt. Der Eindruck besteht, dass dadurch die Industriekultur gewachsen ist, die Kunst jedoch nicht im gleichen Maße gefördert worden ist. Die bisherige Förderung scheint sich auf einige wenige Leuchttürme der Kunst zu konzentrierten.

Allgemein wird beobachtet, dass punktuell Projekte gefördert aber nachhaltige Unterstützung von z. B. Brandschutz in leer stehenden Gebäuden als potenzielle künstlerische Räume nicht berücksichtigt werden. Als eine weitere nachhaltige Förderung von Kunst in der Region wurde auch die Unterstützung von mehr öffentlich geförderten Ateliers und gemeinschaftlich genutzten Werkstätten gesehen. Das würde auch die langfristige Etablierung von Kunstschaffenden in der Region ermöglichen.

Ein weiteres Anliegen war die Schaffung einer größeren Transparenz im Bereich der Förderungen von Kunst. Ebenso soll Kunst als ernsthafte Profession angesehen und nicht als Mittel zum Zweck (bspw. Gentrifizierung von Stadtteilen) benutzt werden. Es stellte sich hier die Frage, wie bringt man die Kunst den Menschen in der Region nahe und wie kann eine Fachlichkeit der Entscheidungsträger sichergestellt werden.

Resümee

Alle beteiligten Künstlerinnen haben die Notwendigkeit des Treffens sowie die langfristige Etablierung des Künstlerfrühstück im Stellwerk 62 in regelmäßigen Abständen sehr begrüßt. Das Format erwies sich als ein Katalysator, der schnell zu einem fachlichen und konstruktiven Austausch und Vernetzung führte.

Besonders inspirierend wurde der interdisziplinäre Austausch auch mit einer Raumplanerin erlebt. Es ergeben sich dadurch andere Diskussionen und Sichtweisen, welche auch zu fruchtbaren Lösungsansätzen führen können.

Aktuell werden Finanzierungsmöglichkeiten und Kooperationspartner zur Etablierung des Formats an besonderen Orten des Ruhrgebiets gesucht.