Können die Orte des Selbermachens Treiber einer urbanen digitalen Produktion werden? Welchen Herausforderungen müssen sie sich stellen, damit sie als dezentrale Produktionsstätte verstanden werden könnten? Diesen und weiteren Fragen ist Fraunhofer UMSICHT im Verbundprojekt LUZI nachgegangen und bietet mit dem vorliegenden Beitrag einen kleinen Einblick in die Forschung:
Durch die digitale Transformation verändert sich langfristig, besonders durch neue Möglichkeiten und den noch nicht ausgeschöpften Potenzialen der digitalen Technologien, die Produktwelt unzähliger Unternehmen. Um wettbewerbsfähig zu bleiben aber auch um sich den Herausforderungen der Unternehmen zu stellen, werden neue Dienstleistungen oder Prozesse geschaffen. Im Bereich der digitalen Fertigungstechnologien war im wesentlich die additive Fertigungstechnologie im medialen Fokus der letzten drei Jahrzehnten.
Additive Fertigung – Definition und Historie
Unter additiver Fertigung werden Herstellungsprozesse verstanden, bei denen auf Basis eines dreidimensionalen digitalen Modells schichtweise ein Objekt hergestellt wird. Prinzipiell ist eine Vielzahl an Begriffen in Wissenschaft und Praxis für die additive Fertigungsverfahren üblich, wie 3D-Druck, generative Fertigung oder Rapid Prototyping/Manufacturing. Im englischen Sprachgebrauch sind über die ASTM-Standard F2792 Additive Manufacturing (AM) bzw. Additive Manufacturing Technologies (AMT) als Oberbegriffe genormt, wohingegen sich »additive Fertigung« erst seit kürzerem im deutschen Sprachgebrauch immer mehr durchgesetzt hat. Zurückzuführen ist diese Entwicklung sowohl auf die direkte Übersetzung aus dem Englischen als auch die VDI-Richtlinie 3405, sodass in diesem Beitrag weitestgehend der Begriff additive Fertigung/Fertigungsverfahren verwendet wird. In Online-Communities wird jedoch häufig der Begriff 3D-Druck verwendet, ebenso wie der Begriff 3D-Drucker.
Die Vorteile der additiven Fertigungstechnologie liegen auf der Hand: Einen Wandel u.a. in Richtung Losgröße 1, mehr Produktvielfalt, hohes Potenzial hinsichtlich Materialeinsparung, Werkzeuglose Fertigung, kürzere Entwicklungszeiten bzw. Erhöhung der Iterationen durch Anwendung im Prototyping, kundennahe und emissionsarme Produktion, sowie on demand Fertigung, um eine bedarfsgerechte Produktion mit individualisierten Teilaspekten zu ermöglichen. Jedoch sind auch Nachteile vorzufinden, wie u.a. die verfahrensspezifischen Fertigungszeiten, eine zeitintensive Nachbearbeitung und die eingeschränkte Materialauswahl hinsichtlich der einzelnen Druckverfahren.
Die Anfänge additiver Fertigungsverfahren gehen auf erste Versuche in den USA in den 80er Jahren zurück, bei denen aus einem elektronischen Datensatz ein solider (fester) Körper erstellt wurde. Der erste funktionsfähige 3D-Drucker basierte auf dem chemischen Prozess der Photopolymerisation und wurde von dem US-amerikanischen Ingenieur Charles W. Hull im Jahre 1987 mit dem Namen Stereolithographie „SLA-1“ entwickelt (Bogue, 2013). Die produzierten Bauteile basierten auf Acrylat oder Epoxidharz und wurden mittels Laserlicht hergestellt. Beinahe zeitgleich entwickelte Scott Crump ein auf Schmelzschichtung basiertes Verfahren, welches heute als Fused Layer Modeling bekannt ist (Bogue, 2013). In den Folgejahren wurden weitere unterschiedliche Fertigungsverfahren entwickelt, wobei erst das Auslaufen von Patenten und die Open-Source-Bewegung (z.B. RepRap) die mediale Wirkung auf die additive Fertigung ziehen konnte, wodurch in Folge die additive Fertigung als »nächste industrielle Revolution« bezeichnet wurde (Berman, 2012). Heutzutage wird der globale Markt für Metall- und Polymer-3D-Druck im Jahr 2021 auf rund 8,33 Milliarden Euro geschätzt.
Additive Fertigung bei Fraunhofer UMSICHT
Fraunhofer UMSICHT forschte mit bei der Materialentwicklung für das Selektive Lasersintern und betreibt seit 2013 ein FabLab mitten in Dortmund. Ein Hauptaugenmerk hat das FabLab auf die additive Fertigung gerichtet, wo es viel Potenzial für eine ressourcenschonende Produktion mit weiteren Mehrwerten sieht. Bis dato bieten offene Werkstätten, FabLabs, Makerspaces und andere Orte des Selbermachens einen sehr niederschwelligen Zugang zu Maschinen und Wissen, um eigene Ideen in physische Produkte umzusetzen. Durch diese Demokratisierung der Produktionsmittel wird für den Aufbau einer eigenen Produktion nur noch die eigene Arbeitskraft benötigt. Doch würde diese Entwicklung ausreichen, damit wir über urbane Produktion reden können?
Im Vergleich zu Online-Dienstleistern, die einen umfangreichen Maschinenpark aufweisen und ihre Prozesse auf maximales Wirtschaften optimiert haben, sind die oben angesprochenen Orte eher auf Austausch und Erfahrung ausgelegt. Nicht alle Maschinen werden 100 % ausgelastet, viele vorzufindende Maschinen sind an den Orten des Selbermachens wartungsbedürftig und die dafür notwendige Zeit fehlt den Mitarbeitenden häufig. Der Schwerpunkt liegt nicht beim Ausbau einer Fertigungsstraße, wie die durchgeführten Interviews gezeigt haben.
Begrifflichkeiten der additiven Fertigung
Die additive Fertigung wird hauptsächlich drei Anwendungsbereichen zugeordnet. Dem „Rapid Prototyping“, bei dem es, wie es der Name schon sagt, um die Herstellung von Prototypen geht. Eine weitere Kategorie ist das „Rapid Tooling“, bei der es um die Herstellung von Werkzeugen, dies können u.a. auch Spritzguss- oder Druckgusswerzeuge sein, geht. Wenn es um die Herstellung von dreidimensionalen Bauteilen geht, wird vom „Rapid Manufacturing“ gesprochen. Für alle drei Kategorien „Rapid Prototyping, Tooling und Manufacturing“ können grundsätzlich dieselben additiven Fertigungstechnologien zum Einsatz kommen, solange das Verfahren die notwendigen Bauteileigenschaften erfüllen kann.
In Deutschland werden gemäß DIN 8580 die Fertigungsverfahren in sechs Hauptgruppen aufgeteilt. Differenziert werden die Verfahren, ob die Form aus formlosem Stoff geschaffen (1), die Form unter geändert wird (2-5), oder die Stoffeigenschaften geändert (6) werden. Es gibt auch noch weitere Untergruppen, jedoch sind additive Fertigungsverfahren nicht eindeutig diesen Hauptgruppen zuzuordnen. In der Literatur wird additive Fertigung häufig dem Urformen zugeordnet (Gebhardt et al., 2016). Gebhardt et al. widersprechen dieser Zuordnung und sehen eher eine Kombination, die zum Einsatz kommt, wie z.B. aus Trennen und Fügen. Andere Fertigungsverfahren werden eher dem Beschichten zugeordnet (Gebhardt et al., 2016). Ersichtlich ist, dass additive Fertigungsverfahren nicht eindeutig nach dieser Norm zuzuordnen und Erweiterungen spezifisch für die additive Fertigung notwendig sind.
Allgemein können die Fertigungsverfahren in subtraktive, formative und additive Fertigungstechnologien aufgeteilt werden. Im Vergleich zum subtraktiven, wo Material abgetragen wird, um die Geometrie zu erhalten, oder dem formativen, wo durch Einwirken von äußeren Kräften wie Hitze, eine Verformung stattfindet, werden bei der additiven durch ein schichtweises Auftragen Geometrien erstellt. Durch die Digitalisierung findet dieser Prozess im Regelfall maschinengesteuert statt.
Schritte der digitalen additiven Fertigung
Die Grundlage zur Erstellung der physikalischen Modelle sind digitale dreidimensionale Vorlagen. Diese Vorlagen werden durch das physikalische Auftragen der digitalen Querschnitte, der Schichten generiert. Die Höhe der Schichten definiert die Annäherung des physikalischen Objektes an das digitale (Gibson et al., 2014). Der Umstand der Annäherung wird bei dickeren Schichthöhen als Treppenstufeneffekt deutlich und zugleich ersichtlich. Dieser Effekt, der bei der additiven Fertigung auftritt, ist reduzierbar, aber nicht eliminierbar (Gebhardt et al., 2016).
Unabhängig von Unterschieden der jeweiligen additiven Fertigungsverfahren kann eine allgemeingültige Prozesskette aufgestellt werden. Der prozedurale Ablauf der additiven Fertigung kann auf sieben generelle Schritte aufgeteilt werden. Diese zeichnen sich abhängig von der eingesetzten additiven Fertigung unterschiedlich aus (Gibson et al., 2014).
- CAD-Daten-Erzeugung: Der erste Schritt, die Grundlage aller additiven Verfahren, ist die Erstellung des digitalen Modells. Dieses kann mit Hilfe einer CAD Software, durch 3D scannen oder durch die Mischung beider entstehen. Die Modelle müssen je nach gewähltem 3D-Druckverfahren bestimmte Kriterien, wie bspw. minimale Wandstärken erfüllen.
- Datenvorbereitung: Für eine Weiterverarbeitung in ein Schichtenmodell benötigt die Druckersoftware kompatible Daten. Diese Daten müssen für die Schichtengenerierung in beispielsweise das STL-Format konvertiert werden. Das STL-Format beschreibt durch eine Vielzahl von Dreiecken den Körper. Durch diese Annäherung durch Dreiecke entsteht zugleich ein Informationsverlust, da gekrümmte Geometrien wie z.B. Radien, nur angenähert werden. Ein weiterer Schritt ist die Aufbereitung für die Druckerspezifischen Anforderungen, wie u.a. Stützstrukturen, Materialspezifische Eigenschaften oder notwendige Schritte zur Optimierung der Betthaftung. Im letzten Schritt wird das Bauteil in Schichten (Slicing) aufgeteilt und der spezifische Maschinencode zur Steuerung des 3D-Druckers generiert.
- Maschinenvorbereitung: Diese Datei wird auf den Drucker geladen und die vorhandenen Einstellungen sowie das Material überprüft.
- Bauprozess: Der Druckprozess wird gestartet und der Bauprozess findet automatisiert statt.
- Entnahme: Das Bauteil wird aus dem 3D-Drucker entfernt.
- Nachbehandlung: Die Nachbehandlung, abhängig vom Druckverfahren, muss durchgeführt werden und kann zeitintensiv sein.
- Fertiges Bauteil: Das Bauteil ist gefertigt und kommt jetzt in die Anwendung.
Orte des Selbermachens
Besonders die additive Fertigung verspricht für die lokale Produktion ein starker Treiber zu sein, da durch das Auslaufen der Patente bei den additiven Fertigungsverfahren ein enormer Preisverfall stattgefunden hat. Dies ist besonders der Open-Source-Community zu verdanken, die auch Teil der FabLab-Bewegung ist. Bereits zuverlässig funktionierende 3D-Drucker befinden sich mittlerweile in einem Kostenbereich um die 300 €. Doch welche Fertigungstechnologien sind vor Ort zu finden?
Diese Entwicklung hat zu einer Vielzahl an verschiedenen additiven Fertigungsverfahren geführt. Das davon beliebteste Verfahren, welches in jedem FabLab zu finden ist, ist das Fused Deposition Modelling (FDM). Bei unserer regionalen Erhebung stellten wir fest, dass 87 % der 3D-Drucker auf diesem Verfahren berufen. FDM-Drucker sind in der Anschaffung und im Unterhalt sehr günstig und sehr einfach in der Bedienung. Weiterhin erwähnenswert sind die Sterelitographie (SLA, 9 % der 3D-Drucker vor Ort) und das selektive Lasersintern (SLS, 4 % der 3D-Drucker vor Ort). Während SLS durch die sehr hohen Anschaffungskosten und Anforderungen an den Arbeitsschutz (bspw. Atemschutz, Ab-/Zuluft, etc.) noch weitgehend der Industrie vorbehalten ist, sind SLA-Drucker zunehmend auch im Privaten Bereich zu finden. Beide Verfahren haben jedoch den Nachteil, dass die Materialien kostenintensiv sind und aufwendige Vor- und Nachbearbeitung benötigen. Den Grund für die überwiegende Nutzung von FDM-3D-Druckern sehen wir in dem einfachen Umgang ohne Gefahrenstoffen, den niedrigen Anschaffungskosten aber auch durch die bereits umfangreiche Materialvielfalt des FDM-Verfahrens.
Produkte der additiven Fertigung
Auf der einen Seite haben wir die Angebote der Orte des Selbermachens mit ihren Fertigungstechnologien. Diese bieten allen Gästen oder Nutzer:innen die Möglichkeit einen Zugang zur additiven Fertigung zu erhalten. Wenn wir uns auf der anderen Seite die verwendeten Fertigungstechnologien in der Industrie oder bei Consumer Products ansehen, stellen wir hier eine gewisse Diskrepanz zu den vorzufindenden Fertigungstechnologien der Orte des Selbermachens fest. Unsere Marktrecherche aktuell verfügbarer Consumer Produkts aus additiver Fertigung zeigt, dass 30% mit FDM, 35% mit SLS und 17% der Produkte mit SLA gefertigt wurden. Betrachtet man jedoch das Umsatzvolumen der einzelnen Produkte, so zeigt sich, dass der Großteil mittels SLS und SLA gefertigt wird und FDM im Massenmarkt kaum zu finden ist. Erwähnenswert sind hier auch die Produktkategorien, in denen diese Verfahren zu finden sind: SLS (Brillen, Schmuck, Design, Medizin), SLA (Addidas-Schuhe, Medizin, Mode, Spielwaren) und FDM (Modellbau, Mode, Design, Spielwaren). Warum FDM so wenig Verwendung findet, liegt hauptsächlich an zwei Problemen: Erstens die inhomogenen mechanischen Eigenschaften bedingt durch den Schichtaufbau, was sich allerdings durch eine geschickte Konstruktion und geeignete Materialen kompensieren lässt. Und zweitens an der fehlenden Prozesssicherheit. Während SLS und SLA schon lange in der Industrie etabliert und weit entwickelt sind, waren FDM-Drucker zu Beginn sehr fehleranfällig und wartungsintensiv, was sich durch die Entwicklung der letzten Jahre jedoch enorm verbessert hat.
Potenzial dieser Orte des Selbermachens
Allen Verfahren gemein ist ihre schlechte Oberflächengüte. Stützstrukturen, der schichtweise Aufbau oder ein Pulverförmiges Basismaterial sind am fertigen Bauteil deutlich erkennbar und erfordern meist viel händische Nacharbeit. Hier besteht noch der größte Entwicklungsbedarf, um additive Fertigung für die Produktion von Consumer Products für den Markt attraktiv zu machen. Aber auch an den Orten des Selbermachens muss dieser verstärkt adressiert werden.
Zumindest in Hinblick auf eine urbane Produktion müssten die Orte des Selbermachens, sofern dies adressieren, ein Augenmerk auf die Nachbearbeitung und das Angebot an den vorzufindenden Fertigungstechnologien legen. Das dafür notwendige Fachpersonal muss hinsichtlich der unterschiedlichen Materialien und ihren Vor- sowie Nachteilen geschult sein. Es muss die genauen Fertigungsverfahren und Schritte der Nachbearbeitung kennen, damit daraus Bauteile bzw. Produkte mit einer hohen Oberflächengüte werden. Die Orte des Selbermachens können den Bürgerinnen und Bürgern, der Industrie und weiteren Akteur:innen die notwendige Infrastruktur bieten. Besonders im Hinblick auf den Fertigungsverfahren sehen wir eher geteilte Infrastrukturen als zukünftige Lösung, als dass jede Person bei sich in ihrem Haushalt oder an ihrem Arbeitsplatz unterschiedliche 3D-Drucker vorfinden kann. Besonders durch den hohen Wartungsaufwand aber auch die Frequenz der Nutzung bietet sich ein Sharingkonzept im Sinne der dezentralen Produktionsstätten an. Die digitale Fertigung und besonders die additive Fertigungstechnologien haben aus unserer Sicht das Potenzial ein relevanter Treiber der urbanen Produktion zu werden. Es muss sich jedoch noch herausstellen, inwieweit Orte des Selbermachens ein Teil dieser Bewegung sein möchten.
Literatur
Berman, B. (2012). 3-D printing: The new industrial revolution. Business Horizons, 55(2), 155–162. https://doi.org/10.1016/j.bushor.2011.11.003
Bogue, R. (2013). 3D printing: the dawn of a new era in manufacturing? Assembly Automation, 33(4), 307–311. https://doi.org/10.1108/aa-06-2013-055
Gebhardt, A., Kessler, J. & Thurn, L. (2016). 3D-Drucken: Grundlagen und Anwendungen des Additive Manufacturing (AM) (2. Aufl.). Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG.
Gibson, I., Rosen, D. & Stucker, B. (2014). Additive Manufacturing Technologies. Springer Publishing.