Gemeinschaftliche Freiraumnutzung: Blaupausen für Raumpioniere im Ruhrgebiet

Raumaneignung durch kreative Pionier*innen – wie ist das möglich, wie funktioniert das im Ruhrgebiet? Darüber haben sich mit Svenja Noltemeyer, David Coerdt  und Frank Münter im Kontext des lala-Festivals drei Aktivist*innen ausgetauscht, die bereits seit vielen Jahren Verantwortung für Flächen übernehmen und für eine Do- it- yourself-Mentalität in der Stadtentwicklung werben.

Ausgangspunkt der Debatte war die vor fast 20 Jahren im Ruhrgebiet lancierte aber nie umgesetzte Projektidee „land for free“, die experimentelle, kreativ-unternehmerische Projekte ermöglichen sollte, um Brachflächen im damals noch schrumpfenden Ruhrgebiet zu beleben. Außerhalb von Bauordnung und Restriktionen sollten Brachflächen Raumpionier*innen mit innovativen Ideen zur Verfügung gestellt werden, um soziale wie wirtschaftliche Effekte zu erzielen. Eine Idee, die offiziell nie zum Tragen kam – und nun in Do-it-yourself-Manier an verschiedenen Stellen des Ruhrgebietes umgesetzt wird.

Wandel durch Kultur, Kultur durch Wandel

Raumplanerin Svenja trägt die Idee im Kern weiter und schafft mit ihrem Büro für Möglichkeitsräume und den Dortmunder Urbanisten Rahmen für zur Umsetzung von Ideen. Durch Vernetzung, Kooperationen sowie Unterstützung bei Förderanträgen und -zweigen soll es den Menschen in der Stadt zu ermöglicht werden, ihre Umwelt aktiv mitzugestalten.

„Lebenswerte Städte werden durch Menschen vor Ort gemacht. Durch den Behördendschungel kommt man allein aber nur sehr schwer. Um Strategie der Europäischen Kulturhauptstadt RUHR.2010 ‚Wandel durch Kultur, Kultur durch Wandel‘, die Stadt der Möglichkeiten und Kreativität weiterzuführen, braucht es bessere Strukturen im Ruhrgebiet. Den Menschen muss es leoicht gemacht werden, sich für ihre Stadt einzusetzen.“ Das deutsche Planungs-, Bauordnungs- und Vergabesystem lässt ihnen aber kaum Möglichkeiten. Wir wollen Abhilfe schaffen, alte Ideen aufgreifen und verfolgen somit die Strategie Wandel durch Kultur, Kultur durch Wandel der Ruhr 2010.Kulturhauptstadt konsequent weiter.“ (Svenja)

Die selbstwachsende Stadt als DIY-Angebot

Im Dortmunder Norden arbeitet Svenja bereits seit Längerem mit David zusammen, der für Pandora 2.0 eine Fläche gemietet hat, auf der eine „selbstwachsende Stadt“ unter den Aspekten des Upcycylings und der Klimaneutralität aus Seecontainern entstehen soll, unter den Aspekten des Upcycylings und der Klimaneutralität. So wird zur Gestaltung der Gemeinschaftsflächen auf ausgediente Festivaldeko und recycelte Baumaterialien zurückgegriffen, die per Fahrradanhänger transportiert wird.

„Pandora2.0 ist ein Ort, an dem sich jede*r frei entfalten kann. Ein Ort für Kultur, Austausch und Begegnung, der nach den Bedürfnissen der Menschen wachsen kann. Keine Partyfläche, sondern ein Vernetzungsort zum Entwickeln und Voranbringen von gemeinsamen Ideen und Projekten, an dem sich Freigeister treffen.“ (David)

Auf einem dem angemieteten ehemaligen Gewerbeareal soll sich Pandora2.0 sich mit seinendurch das stetige Andocken von weiteren Containern weiterentwickeln – kein leichtes Vorhaben mit Blick auf die Gesetzeslage in Deutschland. Derzeit agiert e erDavid als Privatperson, so David, an der Schaffung von Rechtssicherheit in Bezug auf eine feste, gewerbliche Nutzung und eine Konzession für Veranstaltungen, die finanzielle Sicherheit bringen soll., arbeite man.

Macher*innen und Ermöglicher*innen

Frank kommt aus der „Gemeinschaftsgarten-Ecke“ und hat sich mit seinen Mitstreiter*innen in Essen-Altenessen der weltweiten Transition-Town-Bewegung angeschlossen, die möglichst viele Menschen dazu bewegen will, in ihrer Umgebung anders zu handeln und zu wirtschaften. In Altenessen werden durch ihn und sein Team brachliegende, vermüllte Grundstücke durch mobile Gartenelemente wie Hochbeete in grüne Kleinode verwandelt.

„Wir helfen mit Wissen, Herz und Hammer und wollen als Transition Town unsere Viertel aufwerten, trostlose, lieblose, verwahrloste Plätze wieder mit positivem Leben füllen.“ (Frank)

Dabei kooperiert Transition Town mit der Stadt Essen. „Wir werden sehr gut unterstützt“, so Frank. Denn die Stadtverwaltung sehe die Vorteile: Flächen, die durch Transition Town für einige Jahre gestaltet werden, müssen von städtischer Seite nicht mehr gepflegt werden. Transition Town hat eine dementsprechende Abmachung in der Verwaltung bekommt z.B. aufgegebene Spielplätze angeboten.

Die Aktivist*innen von Pandora2.0 hingegen haben im Umgang mit der Verwaltung und Politik andere Erfahrungen gemacht. David erinnert sich: Ursprünglich entstand die Idee in Lünen, wo wir ein richtiges Konzept vorgelegt haben, auf einer Halde, mit Kompostklo und Container. Da wurden wir belächelt, nach dem Motto „lass die Kinder mal machen.“ Sieben Jahre lang lag die Idee auf Eis, bevor David nach einem Umzug nach Dortmund im Jahr 2018 erneut Gespräche aufnahm, und im Februar 2019 mit einigen Mitstreiter*innen loslegte. „Das Projekt Kliemannsland in Niedersachsen hat mir dabei den Mut gegeben, meine Idee wieder aufzugreifen und in die Tat umzusetzen. Ich konnte zwei Jahre lang auf Youtube sehen, dass ein ähnliches Konzept funktioniert und angenommen wird. Derzeit versucht er verstärkt, mit der Emschergenossenschaft in Kontakt zu treten und – analog zum Konzept von Transition Town – zukünftig Flächen zu bespielen, diese nicht mehr länger verwalten und pflegen möchte, um dort beispielsweise Gemeinschaftsgärten mit Hochbeeten zu initiieren.

Aber kann eine Zwischennutzung, wie sie sowohl bei Transition Town als auch bei Pandora2.0 betrieben wird, wirklich nachhaltig sein? Immerhin stecken Pionier*innen viel Zeit und Ressourcen in Flächen, die dann unter Umständen nach wenigen Jahren durch Investor*innen oder Stadt bebaut und anderweitig genutzt werden. Klare Antwort: Ja, sie ist immer besser, als im Zustand des Nichtstuns zu verharren. Zudem setzten beide Initiativen auf mobile Elemente, die einfach auf neuen Flächen wieder aufgebaut werden können, so dass dort schnell wieder neue Erlebnisräume entstehen könnten.

Stadt der Zukunft mitgestalten

Die abschließenden Wünsche der drei Pionier*innen zur Schaffung von mehr Ermöglichungsräumen und -kultur können wie folgt zusammengefasst werden:

• Verwaltungen sollten nicht nur in Essen, sondern überall bereit sein, brachliegende Flächen zur (temporären) Nutzung an entsprechende Netzwerke zu geben – eine Win-Win-Situation, da die Pflege durch die Kommune entfällt und Raumpionier*innen zugleich ihre Ideen testen können.
• Menschen, die ihre Stadt mitgestalten möchten, sollten sich leicht an ein Netzwerk von Raumpionier*innen wenden können, um einen niederschwelligen Einstieg ins Mitmachen zu erhalten.
• Es bräuchte die Möglichkeit, eine Anfangsinvestition zu erhalten, damit Akteur*innen ihre ehrenamtliche gemeinschaftliche Arbeit nicht komplett aus ihrer privaten Tasche finanzieren müssen – hierbei kann ein kleiner Betrag wie 1.000 Euro bereits viel bewirken.
• Förderberatungen und Förderungen sollten ohne Auslagen-Vorkasse funktionieren, um nicht persönlich für die angagierte Gruppe ins Risiko gehen zu müssen.
• Es braucht Förderberatungen, um zu wissen, für welche Ideen es welche Mittel gibt und wie man es ermöglicht, dass auch Initiativen ohne eigene Rechtsform Anträge stellen können..

Wer das Festivalgespräch verpasst hat, bei dem unter anderem auch noch über die Erfahrungen mit Vandalismus bei kreativer Brachflächennutzung gesprochen wurde, kann sich die Aufzeichnung über den twitch-Kanal von Pandora2.0 anschauen: www.twitch.tv/PandoraZweiPunktNull

Text: Sonja Broy und Svenja Noltemeyer
Foto: die Urbanisten e.V.