Ist Selbermachen nachhaltig? – Ein Plädoyer für geteilte Infrastruktur in Orten des Selbermachens
Eine der Ausgangsthesen des LUZI- Projekts war es, dass Prozesse des Selbermachens zur Entwicklung nachhaltiger Quartiere beitragen können. Hierzu scheint es sinnvoll sich zunächst einen Überblick auf das Phänomen des Selbermachens in unserer Zeit zu schaffen.
In der Postmoderne ist – vor allem in der westlichen Welt – ein Trend zur Individualisierung sowohl auf gesellschaftlicher als auch auf ökonomischer Ebene sichtbar. Gesellschaftlich bringt diese Individualisierung für das Individuum die Freiheit mit sich, aus einer Vielzahl möglicher Lebensentwürfe wählen zu können, gleichzeitig aber auch den Zwang sich für eine Biografie entscheiden zu müssen. Jede und jeder ist für die eigene Biografie zunehmend selbst verantwortlich.
Auf wirtschaftlicher Ebene ist Individualisierung unter anderem durch die Abkehr vom fordistischen Kapitalismus der Massenfertigung gekennzeichnet. Ermöglicht durch die rapide Entwicklung der digitalen Kommunikation sowie der Logistik findet eine Ausdifferenzierung der Märkte statt, die auf angepasste Produkte bis hin zur individuellen Anpassung setzt. Diese eher hedonistische Befriedigung von Lifestyle-Bedürfnissen sollte jedoch differenziert werden von dem sich parallel entwickelnden Trend zum Selbermachen. Im Jahr 2021 gab es in der deutschsprachigen Bevölkerung ab 14 Jahren rund 3,28 Millionen Personen, die sich mehrmals wöchentlich mit Do-It-yourself Arbeiten beschäftigen. Es ist anzunehmen, dass nur ein Teil dieser Menschen diesen Tätigkeiten aus dringender Notwendigkeit nachgeht. Vielmehr ist wohl das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung eine Motivation selbst anzupacken, zunehmend aber wohl auch die Beschäftigung mit nachhaltigen Lebensstilen. Der bewusste und sparsame Umgang mit Ressourcen ist auch ein Thema, das dem LUZI-Team in vielen Gesprächen und auf Veranstaltungen begegnete. Auch der Wunsch von Stadtbewohner:innen nach mehr Resilienz und Unabhängigkeit von den großen Märkten war gerade während der Corona-Krise vermehrt wahrzunehmen. Eine der zentralen Fragen des Projekts LUZI war es herausfinden, wie Menschen durch produktionsorientiertes Selbermachen zur nachhaltigen Entwicklung ihres Umfeldes oder Quartiers beitragen können.
Doch ist „Selbermachen“ automatisch nachhaltiger, wenn man Nachhaltigkeit im ursprünglichen Wortsinne als „Nicht mehr Ressourcen verbrauchen als nachwachsen können“ definiert?
Die Verlagerung des Produktionsprozesses zum Individuum geht häufig zulasten der Effizienz. Dies trifft insbesondere auf die eingesetzte Arbeitszeit aber in manchen Fällen auch auf den Ressourceneinsatz zu. In der produzierenden Wirtschaft ist Effizienz ein Mittel zur Steigerung der Produktivität und damit des monetären Gewinns. Das trifft sowohl auf Zeiteffizienz, als auch auf Ressourceneffizienz zu, hier allerdings mit der Einschränkung, dass Ressourcen nur effizient eingesetzt werden müssen, wenn sie Kosten verursachen. Gemeingüter wie die Atmosphäre unseres Planeten sind in vielen Ländern noch nicht in den Produktionskosten abgebildet. Auch in Europa zeichnet sich erst langsam ab, dass Umweltverschmutzungen als negative externe Effekte in die Kosten internalisiert werden, indem z.B. der Co2-Ausstoß bepreist wird. Am Ende entscheidet vor allem die Kosteneffizienz über das Handeln eines Unternehmens auf einem Markt, also auch darüber was produziert wird, und wie diese Produkte vermarktet werden.
Wenn man sich als Privatperson entscheidet, ein Produkt selbst herzustellen, sind sowohl Zeit, als auch Ressourceneffizienz von Bedeutung. Man muss sich bewusst die Zeit nehmen, z.B. einen Tisch selbst zu bauen. Dies umfasst die Planungszeit, die Auswahl und Beschafffung der Materialien sowie die handwerkliche Umsetzung. Ressourceneffizienz ist im Hinblick auf den Preis wichtig, steht aber in Abhängigkeit von der erwünschten Qualität der eingesetzten Produkte. Wenn die Entscheidung für das Selbermachen auch aus Überlegungen zur Nachhaltigkeit wurde, spielt der Ressourcenverbrauch eine größere Rolle. Hier ist relevant wie hoch der Ressourcenverbrauch der eingesetzten Materialien, aber auch der benutzten Maschinen, Werkzeuge und Energie bewertet wird. Wichtig ist hier aber auch die Langlebigkeit eines Produkts. Es ist zu vermuten, dass ein selbstgemachter Tisch nicht so schnell auf den Müll wandert wie ein Produkt aus dem Möbel-Discounter.
Die Entwicklung von 3D-Druckern für den Hausgebrauch ermöglicht es Menschen, Dinge selbst herzustellen, welche zuvor nur in Massenproduktion gefertigt werden konnten. Es gibt immer mehr druckbare Materialien, auch wenn die Technik insgesamt wohl noch in den Anfängen der Entwicklung steckt. Sowohl bei der Holzverarbeitung als auch bei der digitalen Fertigung wird allerdings offensichtlich: Begreift man Selbermachen als Beitrag zur Transformation zu einem nachhhaltigeren Konsum, kann das Ziel nicht sein, dass in jedem Haushalt Maschinen und Technik zur Produktion stehen. Dies steht im Gegensatz zur Nachhaltigkeitsstrategie der Suffizienz, also der Notwendigkeit zur Verringerung von Produktion und Konsum. Vielmehr geht es darum, dass im Sinne einer Sharing Ökonomie einer möglichst großen Anzahl an Menschen sowohl digitale als auch klassische Fertigungstechniken verfügbar gemacht werden.
Aus unserer Sicht kann „Do-It-Yourself“ daher nur als „Do-It-Together” einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung beitragen.
Es werden Orte benötigt, die Maschinen und Technologien zur gemeinsamen und geteilten Nutzung zur Verfügung stellen. Gleichzeitig sollten Freiräume und Gestaltungsmöglichkeiten im städtischen Raum geschaffen werden, um die Kreativität und Produktivität, die durch das gemeinsame Selbermachen entsteht auch in die Quartiere strahlen zu lassen. Diese Orte existieren teilweise schon in verschiedensten Formen, seien es Makerspaces und Hackerspaces, Offene Werkstätten, Repaircafés oder Gemeinschaftsgärten. Im Rahmen unserer Veranstaltung „Trash-Up meets LUZI“ konnten sich einige dieser Akteure vorstellen. Durch noch stärkere Vernetzung und Zusammenarbeit können diese Orte vielfältige und niederschwellige Anknüpfungspunkte sowohl für erfahrene Stadtmacher*innen, als auch für Menschen die sich sonst weniger mit Themen wie Nachhaltigkeit oder Stadtentwicklung beschäftigen.
Darüber hinaus braucht es an diesen Orten auch eine Infrastruktur um Wissen und Fertigkeiten über neue und alte Techniken zur Produktion von materiellen, aber auch immateriellen Gütern weiterzugeben und zu teilen. An Orten des Selbermachens kann die handwerkliche oder technische Bildung leicht mit abstrakten Themen wie Stadtentwicklung verknüpft werden. Komplexe Probleme können nur im Rahmen von interdisziplinärer Kooperation und Kollaboration gelöst werden. Wie ein solcher Prozess aussehen kann, wurde sowohl anhand mehrerer Produkte (Brillen, Schuhe, Schmuck), als auch der Entwicklung von neuen Orten behandelt. Zusätzlich produziert die Erfahrung des „Zusammenmachen“ nicht nur das zusammen Erschaffene, sondern befördert Demokratieprozesse und Empowerment auf lokaler Ebene. So können mehr Menschen ihre eigenen Ressourcen einbringen, um ihr Quartier gemeinsam zu gestalten.